Watzenborn-Steinberg
mit Garbenteich (Stadt Pohlheim, Kreis Gießen)
und Steinbach (Gemeinde Fernwald, Kreis Gießen)
Jüdische Geschichte / Synagoge
Quelle: http://www.alemannia-judaica.de/watzenborn-steinberg_synagoge.htm |
In Watzenborn-Steinberg bestand eine jüdische Gemeinde bis
Mitte der 1920er-Jahre. Danach gehörten die in Watzenborn-Steinberg lebenden
jüdischen Einwohner zur Gemeinde in
Leihgestern. |
Auch
am Rathaus der Stadt Pohlheim in Watzenborn-Steinberg steht ein
Gedenkstein
für die Opfer des Nationalsozialismus. Gleichfalls sind an fünf Standorten
sog. "Stolpersteine" für die in der NS-Zeit ermordeten jüdischen
Einwohner verlegt (Foto links: "Stolpersteine" am Gebäude Klossengasse 2).
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Aus der Geschichte der jüdischen Lehrer |
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Ein gemieteter Betraum war seit 1846 vorhanden.
Zwar konnten auf Grund der geringen Zahl der jüdischen Einwohner in der
Folgezeit nicht immer regelmäßig Gottesdienste abgehalten werden, dennoch hatten
sich die Gemeindemitglieder verpflichtet, die Gebühren für ihre Plätze
regelmäßig zu bezahlen. Auch der im September 1855 zugezogene Meyer Dreifuß
verpflichtete sich der Israelitischen Gemeinde gegenüber, 10 Gulden sofort und
jedes weitere Jahr den Betrag von 3 Gulden zu zahlen, um einen Platz in der
Synagoge und alle Rechte eines Gemeindemitgliedes zu erwerben.
Am 7. September 1938 - zwei Monate vor
dem Novemberpogrom 1938 - verkaufte Max Katz als letzter Vorsteher der jüdischen
Gemeinde das Synagogengebäude mit Grundstück an die Ortsgemeinde für 300 RM. Der
Gemeinderat stimmte dem Ankauf am 16. September 1938 zu. Das Gebäude sollte
alsbald von der SA genutzt werden. Dennoch wurde die Inneneinrichtung des
Gebäudes beim Novemberpogrom 1938 demoliert. Im Januar 1939 wurde das Gebäude
vom Gemeinderat an die SA-Dienststelle verschenkt. Wenig später erfolgt der
Umbau zur neuen Dienststelle der örtlichen SA (Sturm 13/116). Diese zog
im Februar 1939 in das bisherige Synagogengebäude ein. |
Adresse/Standort der Synagoge: Klossengasse 12 |
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Fotos / Abbildungen / Pläne (Quelle: Foto oben Mitte und Rekonstruktionszeichnungen: Altaras 1994 S. 75 sowie 2007 S. 212-213; Foto oben rechts siehe Presseartikel vom Januar 2011 unten) |
Bis 1938 | 1939 bis 1953 | |
Ein historisches Foto der Synagoge ist nicht vorhanden; über Zusendungen oder Hinweise freut sich der Webmaster der "Alemannia Judaica"; Adresse siehe Eingangsseite. | ||
Foto um 1940 - die
ehemalige Synagoge als Dienstgebäude der SA |
Blick in die Klossengasse um 1950; am Ende links steht die ehemalige Synagoge |
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1953 bis 1976 | Aus der Zeit zwischen 1953 und 1976 ist kein Foto vorhanden. | |
Straßenansicht
1891 bis 1938 (Rekonstruktion) |
Straßenansicht
1939 bis 1953 (Rekonstruktion) |
Straßenansicht
1954 bis 1976 (Rekonstruktion) |
Grundriss des Erdgeschosses bis 1938 mit den Sitzreihen im Betsaal, Vorlesepult und dem an der Ostwand befindlichen Toraschrein |
Grundriss des
Erdgeschosses mit den eingezeichneten Büros der SA (1939-1945) |
Grundriss des
Erdgeschosses 1954 bis 1976 |
Das Wohnhaus nach dem Umbau 1976 (Aufnahme vom Mai 1990) | ||
Erinnerungsarbeit vor Ort - einzelne Berichte |
Januar 2010: Rundgang zu den Verlegestellen der "Stolpersteine" in Watzenborn-Steinberg am Holocaustgedenktag |
Quelle: Gießener Allgemeine, 28.1.2010 |
Bewegender Rundgang in Watzenborn-Steinberg
Pohlheim (gbp). Bewegender Rundgang in Watzenborn-Steinberg: Trotz
klirrender Kälte hatten sich am Mittwoch über 40 Menschen eingefunden,
um anlässlich des Holocaustgedenktages an den fünf Verlegeorten der
Stolpersteine in dem Pohlheimer Stadtteil der ermordeten jüdischen
Familien zu gedenken, die an diesen Orten in dem Stadtteil gelebt
hatten.
Eingeladen zu dem Rundgang hatte die Initiative Stolpersteine Pohlheim
e. V.; an den Verlegeorten wurden Blumen abgelegt und ein Kerzenlicht
entzündet – die Steinpaten erzählten die zum großen Teil bestürzenden
Geschichten der Familien, die dem Holocaust zum Opfer gefallen waren.
Basis für alle Angaben auf den Stolpersteinen und für die
Familiengeschichten waren die sorgfältigen Recherchen des vor einem Jahr
verstorbenen Frank Pötter.
Es fanden sich Zeitzeugen ein, die sich noch an die jüdischen Mitbewohner erinnern. Auch eine Zeitzeugin aus dem litauischen Kaunas, wo die Pohlheimer Familie Adler/Süß aus der Klossengasse ermordet worden war, begleitete die Gruppe (Foto: vor dem Haus in der Klossengasse) die 85-jährige Margarete Holzman, die die Tagebuchaufzeichnungen ihrer Mutter Helene in einem Buch festgehalten hat und in Gießen lebt (weiterer Bericht folgt). |
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Januar 2011: Rundgang zu den Verlegestellen der "Stolpersteine" in Watzenborn-Steinberg am Holocaustgedenktag |
Quelle: Gießener Allgemeine, 26.01.2011 |
Das Grauen darf nicht vergessen werdenMorgen Begehung der Stolpersteine-Verlegestellen - Es wird an die Geschichte der Familie Adler erinnert (mbe). Anlässlich des Holocaustgedenktages lädt die Initiative Stolpersteine Pohlheim alle interessierten Bürger für den morgigen Donnerstag ab 17 Uhr zur Begehung der Verlegestellen der Stolpersteine ein. An den jeweiligen Verlegeorten erzählen Steinpaten die Geschichten der ermordeten Pohlheimer Familien. Das wird speziell die Geschichte der Familie Adler sein. Blick in die Klossengasse um 1950: In der Mitte (vor dem Motorradfahrer), das Haus der Familie von David Theodor Adler. Am oberen Ende der Straße die frühere Synagoge. Beginn und Treffen ist ab 16.30 Uhr vor der Bahnhofstraße 36 in Watzenborn-Steinberg. Die Verlegung der Stolpersteine in Watzenborn-Steinberg fand am 21. Oktober 2009 statt. Als Steinpaten informierten Initiative-Vorsitzender Tim van Slobbe, Andrea Krauß und Simon Pötter bereits vorab über das Schicksal der Familie Adler, an das morgen durch Verlesen des Schicksals erinnert wird. Und das ganz im Sinne des verstorbenen Initiators Frank Pötter, dem es ein besonderes Anliegen war, das „kollektive Gedächtnis der Menschen lebendig zu halten“. Das Haus Klossengasse 2 (damals „Straße der SA“) war der letzte frei gewählte Wohnort der Familie Adler. Zur Familie gehörten: David Theodor Adler, Emma Adler, geborene Süß, Kurt Siegfried Adler, Lydia Sonnia Adler, Johanna Süß, geborene Stern. 1921 heirateten Theodor Adler und Emma Adler, geb. Süß und zogen zuerst an den Kreuzplatz 4, später in die Klossengasse 2. 1924 betrieb Theodor Adler Handel mit Manufakturwaren, Wollwaren und Fellen. 1933 begannen Repressalien gegen die jüdische Bevölkerung. Sie wurde systematisch aus ihren Berufen gedrängt, von Bildung und öffentlicher Teilhabe ferngehalten und zunehmend ihrer Lebensgrundlage beraubt. Daraufhin verließ Kurt Adler 1937 und damit nach acht Jahren die Schule und begann eine Schlosserlehre in Frankfurt. 1938 musste Lydia Adler im März, nach nur fünf Jahren, die Schule verlassen. Die Verordnung, dass alle jüdischen Kinder die öffentlichen Schulen verlassen müssen, wurde erst im November 1938 ausgesprochen. Im November wurde Theodor Adler in Gießen verhaftet und ins KZ Buchenwald verschleppt. Er blieb fünf Wochen inhaftiert und wurde am 15. Dezember 1938 schwer verletzt und mit bleibenden Schäden entlassen. Er unterschrieb die Verpflichtung, Deutschland zu verlassen. Ab dem 1. Januar 1939 war es der Familie Adler, wie auch allen anderen Juden verboten, ihren Berufen beispielsweise im Handel und Gewerbe nachzugehen. Sie verloren somit jegliche Existenzgrundlage. Am 30. April 1939 floh Theodor Adler nach New York und wollte dort Vorbereitungen treffen, seine Familie nachkommen zu lassen. 1941 zogen Emma Adler und Johanna Süß nach Frankfurt. Vorher, am 2. Januar mussten sie ein Garten- und Obstbaumstück und das Haus in Watzenborn-Steinberg verkaufen. Ein ,,Einsitz bis zur Auswanderung“ wurde nicht genehmigt. Das Geld wurde auf ein Sperrkonto überwiesen, es gab keinen Zugriff. Die Familie Adler war nun völlig verarmt und bezog Unterstützung von jüdischen Wohlfahrtseinrichtungen. Es ist vorstellbar, dass ihre Fluchtpläne auch deshalb scheiterten. Am 22. November 1941 wurden Emma, Kurt und Lydia Adler mit einem Deportationszug aus Frankfurt nach Kaunas in Litauen verschleppt. Dort wurden sie zusammen mit 2934 anderen Juden erschossen. Johanna Süß blieb allein zurück. Am 18. August 1942 wurde sie nach Theresienstadt deportiert, einen Monat später nach Treblinka verschleppt und dort am 26. September in der Gaskammer mit Abgasen erstickt. Theodor Adler arbeitete als Angestellter in Chicago. 1946 heiratete er zum zweiten Mal. Verschiedene Entschädigungsverfahren im Nachkriegsdeutschland waren erneut erniedrigend für ihn, da auf Zeugen und Bescheinigungen bestanden wurde, die kein Jude beibringen konnte. 1976 starb Theodor Adler in Chicago. |
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Januar 2012: Rundgang zu den Verlegestellen der "Stolpersteine" in Watzenborn-Steinberg am Holocaustgedenktag |
Quelle: Gießener Allgemeine, 27 Januar 2012: |
Holocaust-Gedenktag: Schicksal der Familie Katz Pohlheim (gbp). Stolpersteine gegen das Vergessen: Mehr als 30 Watzenborn-Steinberger und auswärtige Gäste machten sich aus Anlass des Holocaust-Gedenktages am Freitag in Watzenborn-Steinberg auf den Weg zu den 20 Erinnerungsplaketten..."
Diese waren am 21. Oktober 2009 an fünf Stellen des Ortes verlegt worden waren – vor den letzten frei gewählten Wohnstätten von Menschen, die die Nationalsozialisten ermordet, deportiert oder in den Freitod getrieben hatten. In diesem Jahr richtete sich das Augenmerk der Veranstaltungsteilnehmer auf das Schicksal von Isidor und Hilde Helene Katz. Die Eheleute hatten mit ihren Angehörigen am ehemaligen Adolf-Hitler-Platz 3 gewohnt, der längst Kreuzplatz heißt. Sie waren im Oktober 1942 in Treblinka ermordet worden. Die von dem Künstler Gunter Demnig geschaffenen »Stolpersteine«, die eine beschriftete, ins Gehwegpflaster eingelassene Messingplatte mit Namensgravur tragen, konnten in Watzenborn-Steinberg angebracht werden dank der Hilfe von Steinpaten. Die bezahlten jeweils 95 Euro, kümmerten sich zudem darum, das Schicksal der darauf Verzeichneten zu erforschen und die Erinnerung an sie lebendig zu erhalten. Die Kenntnisse über die jüdischen Familien und die Initiative zu den Stolpersteinen in Pohlheim stützen sich auf Arbeit des 2009 verstorbenen Pfarrers Frank Pötter aus Garbenteich. Begegnung beim Dorfjubiläum Das Schicksal der Familie Katz war vom Stolpersteine-Initiative-Vorsitzenden Tim van Slobbe, Simone van Slobbe und von Ingrid Georg recherchiert worden. »Ich habe die Steinpatenschaft für Manfred Katz übernommen, weil ich ihn noch persönlich kennenlernen durfte«, erzählte Ingrind Georg. Dies sei 1991 gewesen, als Watzenborn-Steinberg aus Anlass seiner 850-Jahr-Feier alle noch lebenden jüdischen Einwohner früherer Jahre eingeladen hatte. Später habe sie mit Manfred Katz Kontakt aufgenommen. Aus vielen Telefonaten entwickelte sich eine Freundschaft, die bis zu Katz Tod im August 2007 andauerte. »Mein Eindruck war, dass Manfred immer großes Heimweh hatte und die Vergangenheit bei ihm stets gegenwärtig war.« Die Katz-Söhne Ferdinand Manfred und Siegbert Werner waren Anfang 1939 nach Holland geflohen, hatten von dort in die USA ausreisen können. Die Stolperstein-Patenschaft von Manfreds Bruder, Siegbert Werner Katz, der als Steven W. Kates noch in Amerika lebt, haben Simone und Tim van Slobbe inne, »weil es mich sehr berührt hat, dass ein zehnjähriger Junge seine Familie zurücklassen und seinen Weg allein weitergehen muss. Unvorstellbar! Ich freue mich sehr, dass er lebt«, sagte Simone van Slobbe. Sehr ergreifend hat Steven W. Kates das Schicksal seiner Familie beschrieben. Gestern am Spätnachmittag wurde die Erzählung an seinem Stein vorgelesen. Interessenten finden sie in voller Länge im Internet unter www.giessener-allgemeine.de . Bemerkenswert: Erst durch die Nachforschungen der Pohlheimer Stolpersteinpaten hatte Werner Katz erfahren, wann und wo seine Eltern ermordet worden waren. Isidor Katz, geboren am 30. August 1887, wurde 55 Jahre alt. Seine Frau Hilda Helene geborene Ransenberg ist geboren am 29. August 1895 und wurde als 47-Jährige gemeinsam mit ihrem Mann im Oktober 1942 im Vernichtungslager Treblinka ermordet. Isodor Katz hatte im Ersten Weltkrieg gekämpft, wurde verwundet und trug bis zum Ende seines Lebens Schmerzen davon. »Seine Treue zum Land hatte gar nichts bedeutet in der Zeit des Holocausts; die Belohnung war die Todesstrafe«, schreibt seine Enkelin Batya Warshowsky. Das Ehepaar heiratete 1922 in Allendorf (Kreis Marburg). Von April 1926 an betrieb Isidor Katz einen Handel mit Manufaktur – Kurz- und Wollwaren, Häute und Vieh – und arbeitete als Metzger. Die beiden Söhne, Ferdinand Manfred Katz, geboren am 18. Dezember 1922, und Siegbert Werner Katz, geboren am 18. Januar 1928, besuchten zunächst die Volksschule in Watzenborn-Steinberg. Nach einer Verfügung des Reichsministers für Erziehung und Unterricht mussten am 15. November 1938 alle jüdischen Kinder die öffentlichen Schulen verlassen. Bereits zuvor hatte das Kreisschulamt Gießen angeordnet, dass jüdische Schulkinder zum Ende des Schuljahres 1937/38 die Schule verlassen müssen. Unterrichtet von Anne Franks Vater Siegbert Werner Katz wurde nach nur vier Schuljahren am 26. März 1938 ausgeschult, Ferdinand hatte bis zur Ausschulung im Frühjahr 1937 acht Jahre lang die Schule besucht. Aufgrund seines jüdischen Glaubens nahm ihn die Oberrealschule in Gießen nicht auf, und er begann eine Schlosserlehre in Frankfurt. Sein jüngerer Bruder Siegbert Werner besuchte von Frühjahr 1938 bis zur Reichspogromnacht die jüdische Schule neben der großen Synagoge in Gießen (Südanlage/Ecke Bismarckstraße). Dies war eine Behelfsschule, die in den Räumen des Gemeindehauses der orthodoxen jüdischen Gemeinde bereits in den 20er Jahren eingerichtet und von Gießener Schulen mitgenutzt worden war. Als Siegbert Werner am Morgen des 10. November 1938 die Synagoge brennen sah, wurde ihm klar: Er konnte nicht in Deutschland bleiben. Er floh mit seinem Bruder am 3. Januar 1939 nach Eindhoven in den Niederlanden, von dort aus ging er nach Amsterdam und wurde von Otto Frank, dem Vater von Anne Frank, unterrichtet. Nach wenigen Monaten sprach er Holländisch und besuchte eine Schule in Amsterdam. Ferdinand Katz flüchtete im April nach Amerika, am 14. Mai 1940, dem Tag nach der Kapitulation der Niederlande, floh der zwölfjährige Siegbert Werner nach England, wo er die Schule besuchte und später als Graveur in Manchester arbeitete. Im November 1946 folgte er seinem Bruder nach Amerika. Ferdinand Manfred nannte sich nun Manfred und war von 1943 bis 1946 Soldat. Er und sein Cousin Siegfried Katz waren zwei von insgesamt 20 000 jüdischen deutschen Männern und 3000 jüdischen deutschen Frauen, die – meist freiwillig – in den Armeen der Alliierten gegen die Nazibarbarei kämpften. Im Dezember 1948 kam Manfred mit der US-Army nach Berlin. Von 1951 an lebten die Brüder in Philadelphia. Manfred zog später nach Landsdale und arbeitete als Verkäufer, Werner als Drucker. Doch was geschah mit den Eltern, die in Watzenborn-Steinberg geblieben waren? Im September 1939 wurde eine Ausgangssperre für die jüdischen Bürger verhängt, die auch ihre Rundfunkgeräte bei der Ortspolizei abgeben mussten. Bald darauf erhielten Juden keine Kleiderkarten mehr, ihre Telefonanschlüsse wurden gekündigt, sie mussten den Judenstern tragen und durften ohne schriftliche Erlaubnis der Ortspolizeibehörde ihre Wohngemeinde nicht mehr verlassen. Selbst für einen Bankbesuch in Gießen, wo er sein Konto hatte, brauchte Isidor Katz die Erlaubnis des Bürgermeisters. Und Auswanderung war verboten! Seine ins Ausland geflüchteten Söhne verloren die deutsche Staatsangehörigkeit, ihr Vermögen fiel an das Reich. Im Oktober 1941 wurden Elise und Käthe Nunenthal aus der Bahnhofstraße zwangsweise bei Isidor und Hilda Katz einquartiert. Vom 15. April 1942 an mussten die Häuser von Juden mit einem Judenstern neben dem Namensschild gekennzeichnet werden, so auch das Haus der Eheleute Katz. Haustierhaltung war ebenso verboten, wie der Besitz elektronischer Geräte. Am 14. September 1942 wurden Isidor und Hilda Helene Katz auf einem offenen Lkw zusammen mit den anderen Watzenborn-Steinberger Juden nach Gießen in die Goetheschule verschleppt.
»Neuer Mieter für ›Judenhaus»« Die Schüler der Goetheschule hatten deshalb eine Woche schulfrei. Am 15. September 1942 war Watzenborn-Steinberg »judenfrei«; im Abmelderegister steht: »Isidor und Hilda Katz sind am 18. August 1942 verzogen« – laut Frank Pötter ein offensichtlich gefälschter Eintrag. Über Darmstadt wurde das Ehepaar Katz in das Vernichtungslager Treblinka verschleppt und dort Anfang Oktober 1942 ermordet. 14 Tage nach der Ermordung der Eheleute Katz beschloss der Gemeinderat von Watzenborn-Steinberg: »Für das Judenhaus Adolf-Hitler-Platz 3 wird als Mieter Otto Marx vorgeschlagen. Der Mietpreis soll monatlich 30 RM betragen.« Das Geschäftslager von Isidor Katz ging für 1354,74 Reichsmark an das Ehepaar Wend aus Watzenborn-Steinberg. Die fehlenden 200 Reichsmark zahlten sie zum Kurs von 10 zu 1 in D-Mark an die Katz-Söhne Ferdinand Manfred und Siegbert Werner Katz. 1950 beteuerte Herr Wend in einem Schreiben, das der Entschädigungsakte der Familie Katz beilag, dass er nicht das gesamte Lager übernommen habe und dass »gute Nachbarn« an der Kücheneinrichtung Interesse gezeigt hätten.
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Wie Werner Katz die Schrecken der Nazizeit erlebte |
Quelle: Gießener Allgemeine, 27 Januar 2012: |
Holocaust-Gedenktag: Schicksal der Familie Katz
Pohlheim (gbp/pm). Am Holocaust-Gedenktag stand das Schicksal der Familie Katz im Mittelpunkt des »Stolperstein«-Rundgangs in Watzenborn-Steinberg. Im folgenden schreibt Stephen W. Kates, der einst Werner Katz hieß und dessen Eltern im Vernichtungslager in Treblinka von den Nazis ermordet worden waren.
Der Titel lautet »Die Porzellanteekanne«. Kates schildert darin sehr bewegend seine Lebensgeschichte. Anlass für die Erzählung war, dass sein zwölfjähriger Enkel Elliott Warshowsky die Aufgabe hatte, über einen Gegenstand zu schreiben, der in seiner Familie von Generation zu Generation weitergegeben wurde. »Das war keine leichte Aufgabe, da ich Deutschland nur mit einem kleinen Koffer mit Kleidung im Januar 1939 verlassen habe«, schreibt er und erinnert sich an einen Morgen im Jahre 1937, als seine Mutter ihre schöne Porzellanteekanne in Zeitungspapier packte und sie zu seiner Tante Rosa Katz Koch brachte, die im Begriff war, nach Amerika auszuwandern. So sollte die Kanne schon in Amerika sein, wenn sie selbst dort ankäme – was nie geschah. »Offensichtlich wussten meine Eltern, dass das Klima in Deutschland immer schlimmer für die Juden wurde und wollten ein neues Leben in Amerika beginnen«, schreibt Stephen W. Kates und erzählt die Geschichte seiner Familie: »Wir wohnten seit mindestens drei Generationen am Kreuzplatz 3. Wenn man den jüdischen Friedhof in Watzenborn-Steinberg besucht, kann man viele jahrhundertealte Grabsteine mit dem Namen Katz sehen. Ich weiß, dass mein Großvater Ferdinand Katz, mein Vater Isidor Katz sowie mein Bruder Manfred und ich alle in diesem Haus geboren sind. Mein Vater war Geschäftsmann und hatte drei Brüder namens Max, Leopold und Moritz, und zwei Schwestern, Rosa und Bertha. Einst wohnten alle am Kreuzplatz 3. Mein Vater hat für Deutschland im Ersten Weltkrieg gekämpft, und er war sehr stolz darauf. Seine drei Brüder hatten alle im Ersten Weltkrieg teilgenommen. Leider sind Leopold und Moritz gefallen. Meine Mutter, Hilde Helene Ransenberg Katz, stammte aus Allendorf. Wir sind immer zusammen nach Allendorf gegangen, um meine Großeltern zu besuchen. Ich dachte immer, dass es sehr weit von uns weg sei. Meine Mutter hat immer Tee mit ihren Nachbarn getrunken, und sie hatte eine Menge Porzellan. Jede Woche hat sie das Backhaus besucht, um Brot und Flattekuchen oder – wie unsere Familie es nannte – »Florakuchen« zu backen. Wir haben immer unser eigenes Holz für das Feuer mitgebracht. Challahbrot, das wir am Shabbat essen, hat sie immer zu Hause gebacken. Jeden Samstagmorgen besuchten wir die Synagoge. Über dem Eingang stand geschrieben »gestiftet von Katz«. »Ich war überzeugt, meine Eltern wiederzusehen« Im Jahr 1938 wurde das Gebäude, in dem sich die Synagoge befand, verkauft, und somit gab es in Watzenborn-Steinberg keine Synagoge mehr. Wir konnten die Synagoge in Gießen auch nicht besuchen, weil es ein Gebot ist, dass man am Shabbat nicht fahren darf. Ich war Schüler der dritten Klasse in der Volksschule bis 1938. Dann war es mir nicht mehr erlaubt, weiter in die Schule zu gehen. Für jüdische Kinder war es ab dann verboten, die Schule zu besuchen. Ein Teil der großen Synagoge in Gießen wurde für eine kurze Zeit als Schule für die jüdischen Kinder genutzt. Jeden Tag lief ich zur Bahnhofstraße, um den Zug nach Gießen zu nehmen. Am 9. November 1938, als ich noch ein paar Straßen von der Synagoge weg war, sah ich die schöne Synagoge in Flammen. Wie konnte das sein? Es war ein stattliches Gebäude mit einem großen Platz drum herum und mit Bäumen davor. Warum sollte jemand etwas so Schönes zerstören? Es war jetzt zu spät für meine Eltern, Deutschland zu verlassen. Glücklicherweise wurde die Auswanderung von Manfred und mir mit dem Kindertransport erlaubt. Wir packten einen Koffer und bestiegen einen Zug nach Holland. In meiner kindlichen Seele war ich davon überzeugt, dass ich meine Eltern wiedersehen würde. »Die Söhne entkommen über Holland« Es wurde nie über die Details gesprochen. In Holland wurde ich in ein Heim mit anderen jüdischen Kindern geschickt. Am 14. Mai 1940 fiel Holland an die Nazis. Es war jetzt unmöglich, Holland zu verlassen. Es gab eine Frau, die Gertrude Weijsmuller hieß und die Leiterin des jüdischen Flüchtlingsamts in Amsterdam war. Am 14. Mai brachte sie ungefähr 60 Kinder nach Ymuiden. Es gab tausende Menschen am Hafen, die Zuflucht auf einem Schiff oder Frachtdampfer suchten. Frau Weijsmuller überzeugte den Kapitän eines alten Dampfers, der Bodegraven, uns an Bord zu nehmen. Es war ein kleines Boot ohne Essen am Bord. Als der Kapitän den Hafen verließ, folgten die Nazis uns mit Flugzeugen mit Maschinengewehren. In diesem Moment waren alle Kinder am Deck, und jeder war ganz still. Schließlich sind die Flugzeuge abgedreht und niemand wurde verwundet. Der Himmel wurde schwarz vor Rauch als die Holländer ihre eigenen Öltanks zerstörten, damit sie nicht in die Hände der Deutschen fielen. Fünf Tage später waren wir am Ufer der Stadt Liverpool. Viele Jahrzehnte würden vergehen, bevor ich das genaue Schicksal meiner Eltern erfahren würde. Ich blieb in Manchester bis 1946, bis ich ein Affidavit (Bürgschaft eines Bürgers des Aufnahmelandes für einen Einwanderer) von meiner Tante Bertha Katz, die Schwester meines Vaters, erhielt, um nach Amerika zu kommen. Seitdem lebe ich in Philadelphia und spreche selten von dieser schrecklichen Vergangenheit.. »Symbol der Hoffnung und Erinnerung an den Holocaust« Im Jahr 1984 besuchte meine jüngere Tochter Bernice Kates, die jetzt Batya Warshowsky heißt, Watzenborn-Steinberg. Sie traf sich mit meinem alten Freund Karl Phillip, der leider nicht mehr unter uns weilt, und berichtete mir, wie die Erinnerung an die Familie Katz weiterlebt. Sie meinte, wie gemütlich die Watzenborn-Steinberger seien, und ich sagte ihr, dass die Leuten immer schon gemütlich, freundlich, und nett gewesen waren. Sie besuchte eine ehemalige Nachbarin, Frau Marie Reitschmidt, die am Kreuzplatz 2 wohnte und damals recht alt war. Frau Reitschmidt bat meine Tochter, sich auf einen Stuhl am Fenster zu setzen, von wo aus man unser ehemaliges Haus sehen konnte. Sie erzählte, wie sie auch 42 Jahre zuvor auf diesem Stuhl gesessen hatte und hinter dem Vorhang verborgen beobachtete, wie die SS meine Eltern aus dem Haus holte und mitnahm. Es war erst September und das Wetter war noch ziemlich warm, aber Isidor und Hilde trugen schwere Mäntel, vermutlich weil sie glaubten, sie würden in eine kältere Gegend gebracht werden. Frau Reitschmidt saß entsetzt am Fenster. Sie hatte von solchen Dinge gehört, aber hatte nicht geglaubt, dass so etwas hier in Watzenborn-Steinberg passieren konnte. Erst 2010 habe ich von Simone und Tim van Slobbe erfahren, dass meine Eltern Isidor und Hilde Katz im Oktober 1942 im Vernichtungslager Treblinka vergast wurden. Als Elliott, der fast schon alt genug für seine Bar Mitzwa ist, weiter nach der Porzellanteekanne in seinem Haus fragte, erzählte ich ihm die Geschichte meiner Kindheit in Watzenborn-Steinberg. Ich erzählte ihm von Florakuchen und wie ich mit meinen nicht-jüdischen Freunden Weihnachtslieder gesungen habe und vom einfachen Leben, das wir dort genossen hatten bis dies jäh beendet wurde. Ich erzählte ihm von den barbarischen Taten der Nazis, der unmenschlichen Grausamkeiten und dem Völkermord. Ich fragte ihn, was er sieht, wenn er die Porzellanteekanne seiner Urgroßmutter ansieht. Er erwiderte, dass sie auf keinen Fall die barbarischen Taten, die passiert sind, repräsentiert, weil sie elegant ist und weil nur feine und gute Leute ihren Kaffee oder Tee aus einer so schönen Kanne trinken würden. Er hat Recht! Dennoch waren die Ereignisse des Holocausts das Ergebnis von gebildeten, zivilisierten Menschen. Die Möglichkeit, dass etwas so Schreckliches in der Geschichte der Menschheit wieder passieren könnte, erzeugt große Angst. Elliott hat in seinem Aufsatz geschrieben, dass die Porzellanteekanne seiner Urgroßmutter sowohl ein Symbol der Hoffnung als auch eine Erinnerung an den Holocaust ist«.
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